Komponieren mit Romanen: pijnberichten und der Weg dorthin
Allgemeines:
Wenn man die Faszination von Musikern für das Wort betrachtet, ist man geneigt zu glauben, dass Komponisten nicht im stande sind, Musik zu komponieren ohne diese in Bezug zu Sprache oder Literatur zu setzen.
In den Veröffentlichungen zu diesem Thema überwiegen die Schriften zum Primat der Sprache über die Musik (und umgekehrt) in Hinblick auf das Problem der Textverständlichkeit. Ist es eigentlich nicht merkwürdig das Musik als non-verbale Kunst reinsten Wassers sich so oft mit Text beschäftigt? Eins steht fest: Musik kann in vielerlei Arten mit Text verknüpft werden. Und so fand die Poesie ihren Weg im Lied, Bühnenstücke fanden sich in Oper und Musiktheater wieder und für die Verwendung prosaischer Texte fand man Lösungen im Oratorium. Die erfolgreichsten Vereinigungen fanden sich in Gedichten (Lied) und Theaterstücken (Oper). Aber diese formalen Möglichkeiten scheinen – so möchte ich behäupten – ausgeschöpft und darum muß jetzt etwas anderes kommen. Eine Verbindung mit der dominierenden Kunstform des letzen Jahrhunderts, dem Roman, wurde vernachlässigt.
Geschichte: Musik und Text
Was könnte Literatur und Musik näher zusammen bringen?
Guillaume de Machaut war der Letzte dessen Name wir zugleich in den Büchern der Musikgeschichte als auch in denen der Literaturgeschichte wiederfinden. Seitdem diese Fachgebiete jeweils ihre eigene spezialisierter Kenntnis brauchen, ließen Komponisten sich von der Poesie oder von religiösen Texten inspirieren lassen. Manchmal waren die musikalischen Absichten so klar dass Komponisten – mit wechselnder Erfolg – ihre eigene Libretti schrieben. Manchmal aufgrund literarischer Selbstüberschätzung, andere male aus der Not geboren, weil Schriftsteller sich verweigerten Musik auf ihre Wörter auskippen zu lassen.
Wenn heutzutage jemand seine Texte zur Verfügung stellen möchte, kommt dazu das Problem des musikalischen Geschmacks; (sogar) Schriftsteller hören sich eher eine Art von Unterhaltungsmusik an, als die Musik lebender Komponisten. Es besteht die Vermutung dass heutzutage die literarische Welt sich nicht automatisch mit einer andauernden Umwertung der Formen beschäftigt. Gegenwartsbezogene Kunstmusik wird meistens nur noch durch Spezialisten gehört; als ob der Hörer zuviel Konzentrationsfähigkeit haben muss um ein zeitgenössisches Werk genießen zu können.
Wo in der zeitgenössischen Musik die Entdeckungen zum Beispiel von Boulez, Cage, Feldman, Nono, Stockhausen, Xenakis mittlerweile zur Tradition gehören und es für einen Komponist unmöglich ist sich nicht mit dieser musikalischen Welt auseinander setzen zu müssen, schreiben viele Schriftsteller immer noch so weiter alsob es niemals Celine, Gadda, Joyce, Musil, Proust, usw. gegeben habe. Ihre Bücher werden als Werke interpretiert die nicht den Anfang, sondern den Abschluß einer Entwicklung darstellen und eine Fortsetzung nicht zulassen könnten.
Arno Schmidt: Bilder (aus dem Novecento)
Viele Komponisten wollen schon am Anfang ihren Kompositionsstudium eine Oper schreiben. Als ich die Bücher von Arno Schmidt kennenlernte, erschien mir besonders Abend mit Goldrand mit seinen Dialogformen, Simultanszenen und stilisierten Regieanweisungen für eine Oper geeignet. Trotz der Offenheit seiner Erzählstruktur und der sich daraus ergebenden kompositorischen Möglichkeiten, musste ich durch die Abwesentheit einer dramatischen Struktur die sich sinnvoll mit Musik kombinieren lies, diese Operidee fallen lassen.
Später fand ich diese Anwesentheit von einer dramatischer Struktur zwar für ein musiktheatralisches Werk notwendig, für eine Kombinationsform zwischen Roman und Musik müssten andere Lösungen gefunden werden. Auf den Weg zur dieser Kombinationsform komponierte ich Bilder (aus dem Novecento), auf einen Text von Arno Schmidt. Hier versuchte ich sinnvolle Zusammenhänge aus den unterschiedlichsten Möglichkeiten eines Texts heraus zu bilden.
(Hören Sie jetzt bitte den Anfang von Bilder (aus dem Novecento). Ausgeführt durch das Schönberg Ensemble, Amsterdam) [Track 5: 0’00” – 1’50”] (fade out) (110”)
Geschichte des Romans (Anfang 20. Jahrhundert)
Der traditionelle Roman wurde am authentischsten vielleicht nur von Flaubert geschrieben. Am Anfang des letzten Jahrhunderts wucherten die Schriften über die Krisis des Romans; es wurden Techniken gesucht, die die vertrauten, eingerosteten Formen durchbrechen konnten und die angemessene Antwort auf komplexe Verhältnisse waren. Schriften über das was kein Roman mehr ist, erschütterten die Schriftsteller. Um den Roman zu retten, blieb nur die Sprengung der Romanform. Und so bezeignete Musil seinen Mann ohne Eigenschaften überhaupt nicht mehr als Roman, sondern als ein Essay von ungeheuren Dimensionen. Genauso verschwand bei Proust die Handlung in den Reflexionen. Die Büchern von Broch (Der Tod des Vergil) oder Joyce (Finnegans Wake) wurden als Prosadichtungen gelesen. Der Roman als literarische Großform zerfiel in Collagen: und um das Zersplitterende zu bündeln waren alle Mittel willkommen. Wollte der Roman nicht als ganze Gattung verlassen werden, war der Romanschreiber begrenzt in der Verselbständigung der Sprachlichen Mittel.
Jean Barraqué – Hermann Broch
Die bekannteste Kombinationsform von Musik und Roman sind die Brochverarbeitungen von Jean Barraqué. Die unterschiedlich expressive Weisen worauf die Prosaabschnitte und Versen in Le temps restitué, oder die Überlagerungen der Kommentaren in …au delá du hasard… verwendung finden, sind in der Serialität gewürzelt und konnten keinen Nachahmung finden.
Eine Fortsetzung einer Vereinigung der beiden Formen (Musik und Roman) gibt es nicht. Einerseits ist das ganz logisch: es gibt in einem Roman zuviel Text zu verhandeln und neue Formen müssen dafür gefunden werden, und für neue Formen braucht man Vorstellungskraft… Andererseits ist es merkwürdig dass gerade die Verbindung mit der zeitgemäßen literarische Form, nämlich mit dem Roman, nicht unternommen wurde. Barraqué ist mit der verschiedenen Arten worauf er Brochs Text verwendet hat, einen neuen Weg eingeschreitet, aber er konnte seine Plänen nicht vollenden.
Vorläufiges zu pijnberichten:
Obwohl es schwierig ist über ein Work-in-progress zu reden, werde ich jetzt reden über meinen eigenen Versuch eine Kombinationsform zwischen Prosa und Musik zu finden.
Inspiriert von den literarische Methoden von unter anderem Arno Schmidt, Jean Paul und Ezra Pound fing ich an mit meinem Prosaprojekt. Der Arbeitstitel heißt pijnberichten.
Der Text besteht aus Dialogen von verschiedene Protagonisten. In diese Dialogen wurde unterschiedliches Material verarbeitet. In ihrer Überzeugung dass es nur wenige Wahrheiten gibt, begrenzen die Protagonisten in pijnberichten sich auf Zitate. Als Brunnen werden Reportagen, Zeitungsnotizen, Briefen, Tagebücher, die Weltliteratur, usw. benutzt. Es gibt trotz alledem Zusammenhänge. Jede Identität mit ihrer eigenen psychologische und soziologische Qualität referiert nach einem bestimmten Autorentypus. Gruppen von Autoren wurden um die verschiedene Protagonisten gruppiert. Jeder Protagonist zitiert, und dieses Zitieren geschieht jedesmal (bewusst oder unbewusst) in übereinstimmung mit ihrem Charakter.
Es ist unschwer sich zum Beispiel der Unterschied zwischen einen Kafka-Hölderlin-Celantypus und einen Nietzsche-DeSadetypus vorzustellen. Durch ihr versagendes Gehirn ändern sich die Zitate und die Protagonisten erliegen ihrer literarischen Verführung um manchmal etwas zu akzentuieren und hinzufügen.
Pijnberichten besteht aus Kompositionen für unterschiedliche Besetzungen; es gibt nicht nur Kompositionen mit Stimme, sondern auch instrumentaler Werke.
Es gibt Kompositionen mit Stimme wie zum Beispiel die Komposition ogentroost (Augentrost) für Chor, KEELpijn (Halsschmerz) für Sopran, Oboe & Orchester, und d a g d r o m e n (tagträume) für Sopran, Basbariton & Ensemble, als auch instrumentale Werke. All diese Werke sind nicht nur aus dem gleichen Material entstanden, sondern sind auch auf irgendeine Weise mit dem Prosatext verbunden. All diese Einzelkompositionen sind Entitäten die auch unabhängig von andere Werken aus dem Prosaprojekt pijnberichten verstanden werden können. Die Handlungsstränge, Motivketten und Konstellationen sind in pijnberichten nicht nach Kapiteln gegliedert, sondern in 84 Bilder die über 7 Aufzüge verteilt sind.
Wie der Text auf verschiedene Arten verarbeitet wird, ist auch das musikalisches Material so entwickelt, dass die möglich unterschiedlichste musikalische Formen entstehen.
[Hören Sie ein instrumentales Beispiel: verval für Oboe und Schlagzeug, ausgeführt von Ernest Rombout, oboe und Johan Faber Schlagzeug.] Track 5: 0’00” – 2’50” (fade out) 180”
Die erzwungene Ehe von Text und Musik:
Die beide Ebenen können miteinander konkurriende Welten aufbauen, weil es keine genaue Parallele zwischen Wort und Musik gibt. Text und Musik müssen also unterschiedlich behandelt werden. So hat zum Beispiel ein unverändertes Zitat in Musik immer die Wirkung eines Fremdkörper, in einem Text kann es Bedeutungen auf einer anderen Stufe bewirken.
Es ist unmöglich alles zu ‘vertonen.’ Sogar für eine syllabische Fassung gibt es in einem Roman zuviel Text und darüber hinaus ist nicht jeder Text für eine musikalische Fassung geeignet.
Von dem Moment an dass ein Komponist sich dafür entscheidet eine Stimme zu verwenden (egal ob der Text gesungen oder gesprochen wird), ändert sich ein Text und die Interpretation von eines mehrdeutigen Texts wird eingeschränkt.
Um das zu vermeiden äussern sich die Beziehungen zwischen Wort und Musik in pijnberichten sich in verschiedene Arten und Weisen: mancher Text wird gesungen, rezitiert oder gesprochen, andere Texte können nur ‘in der denkenden ruhenden Sphäre’ gelesen werden.
d a g d r o m e n :
Einer der Hauptpersonen in diesem Prosaprojekt ist die Sopranistin KEEL.
D a g d r o m e n ist der Anfang der VII. Aufzug und besteht aus 2 Szenen die sowohl gleichzeitig als auch unabhängig von einander aufgeführt werden können. Ensemble I besteht aus Basbariton, Klarinette, Cello und Klavier; Ensemble II aus Sopran, Flöte, Geige und Schlagzeug.
In der Szene mit Basbariton, bereitet ein Mann eine romantische Abendspaziergang vor und möchte seine Partnerin beeindrucken durch seine ausführliche Erkenntnisse der Sternenhimmel. In der andere Szene alternieren fragmentierte innerliche Monologen der Sopranisten KEEL sich mit Assoziationen von Titeln von Niederländische Lieder, denen sie gleichzeitig in einen Komputerdatabase eingibt.
Obwohl die Niederländische Sprache (noch) keine tote Sprache ist, ist man in
d a g d r o m e n nicht im Stande jedes Wort zu verstehen. Es hat trotzdem keinen negativen Einfluß auf die musikalische Erfahrung und nicht genügend Grund um den ganzen Problematik über Textverständnis wieder zu käuen. Musik müsste auch ohne Textverständniss verstanden werden können.
Noch ein letzter Punkt:
In diesem Vortrag wurde zitiert ohne das die Quellen genannt wurde; manches braucht ja nicht neuformuliert zu werden und die Methode ist ähnlich mit meinem Zitatmethode in pijnberichten. Wovon schon zu oft gesprochen wurde, darüber muß man schweigen.